Frankreich: Nationalversammlung stimmt Bioethikgesetz in erster Lesung zu

Die Nationalversammlung hat den von der französischen Regierung am 20.10.2010 eingebrachten Gesetzentwurf mit einigen Änderungen am 15.2.2011 in erster Lesung angenommen. Das Gesetz wurde jetzt dem Senat, dessen Plenum sich noch vor der Sommerpause mit dem Gesetz befassen wird, zugeleitet. Die Nationalversammlung folgte mehrheitlich den Empfehlungen des Sonderausschusses. Im Wesentlichen bestätigt die von der Nationalversammlung in erster Lesung verabschiedete Gesetzesfassung den bisherigen Rechtszustand (Bioethikgesetz von 2004).

 

Nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens (Senat, ggf. Vermittlungsausschuss) dürfte im Sommer 2011 in den wichtigsten Punkten mit folgendem Rechtszustand zu rechnen sein:

 

  • Untersuchung genetischer Merkmale
    • Das Gesetz sieht mehrere Verfahrensvarianten für die Unterrichtung der Verwandten in den Fällen vor, in denen das Ergebnis einer Untersuchung ergibt, dass bei der untersuchten Person eine schwerwiegende Anomalie vorliegt, von der auch sie betroffen sein könnten, und wenn präventive Maßnahmen und eine Behandlung in Betracht kommen.
    • Einzelheiten der Unterrichtung werden im Verordnungswege geregelt.

 

  • Organe und Zellen
    • „Überkreuz-Organspenden“ zwischen zwei Paaren sind künftig zulässig. Die bisherige Regelung, die eine Organspende nur unter Ehegatten und zwischen engen Verwandten zuließ, wird unter engen Voraussetzungen gelockert. Mit besonderer Genehmigung ist es auch zulässig, dass ein Organ von einer Person im unmittelbaren therapeutischen Interesse einer anderen Person gespendet wird, wenn der Spender des Organs eine feste und nachweisbare enge Gefühlsverbindung mit dem Empfänger des Organs hat.
    • Bisher kinderlose volljährige Frauen können künftig ihre Eizellen spenden. Sie haben das Recht, einen Teil davon für den Fall zu konservieren, dass sie später unfruchtbar werden sollten. Das gilt entsprechend auch für Samenspenden von Männern.
    • Private Banken zur Konservierung von Nabelschnurblut für autogene Zwecke sind unzulässig. Banken zur Konservierung von Nabelschnurblut in öffentlicher Verantwortung für allogene Zwecke sollen gefördert werden.

 

  • Pränataldiagnostik
    • Das Recht der Schwangeren auf eine umfassende Information (Ziel – Grenzen – Risiken), bevor sie ihr Einverständnis erklärt, wird verstärkt.
    • Hinsichtlich der Präimplantationsdiagnostik sind keine ins Gewicht fallenden Änderungen vorgesehen.

 

  • Schwangerschaftsunterbrechung aus medizinischen Gründen
    • Das Gesetz sieht in einigen Punkten im Interesse der Sicherheit der Schwangeren eine Stärkung der ärztlichen Begleitung vor.

 

  • Anonymität einer Gametenspende
    • Sie bleibt als Bestandteil eines ärztlichen Beistandes zur Kindeszeugung – trotz des Votums der Regierung, die Anonymität unter sehr strengen Voraussetzungen zuzulassen – bestehen.

 

  • Ärztlicher Beistand zur Kindeszeugung
    • Die bei einem zusammenlebenden Paar bisher geforderte Bedingung eines zweijährigen gemeinsamen Lebens fällt weg.
    • Der Rechtsstatus eines Paares bleibt künftig außer Betracht.
    • Ärztlicher Beistand ist nur dann erlaubt, wenn ärztlicherseits die Unfruchtbarkeit eines Paares bescheinigt wurde.
    • Die Zahl überzähliger Embryonen ist zu begrenzen.
    • Die Vitrifizierung von Eizellen ist erlaubt.
    • Nichtverheiratete Frauen oder homosexuelle Paare können ärztlichen Beistand zur Kindeszeugung nicht in Anspruch nehmen.
    • Das Gesetz sieht vor, dass die Einpflanzung eines Embryos in die Gebärmutter post mortem innerhalb einer Frist von frühestens 6 Monaten und längstens 18 Monaten nach dem Tode des Vaters künftig unter der Voraussetzung zulässig ist, dass dieser zuvor seine Einwilligung erklärt hat.

 

  • Forschung an Embryonen und embryonalen Stammzellen
    • Das Gesetz behält das bisherige Verbot vorbehaltlich einer im Einzelfall von der Agentur für Biomedizin (Agence de biomédecine) zu erteilenden Genehmigung und vorbehaltlich einer von ihr anschließend wahrzunehmenden Kontrolle bei; diese kann in bestimmten Fällen die Rücknahme einer erteilten Genehmigung auslösen.
    • Die bisherige zeitliche Begrenzung (5 Jahre) der Möglichkeit, eine Ausnahmegenehmigung zu erteilen, fällt weg.
    • Das bisherige Kriterium für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung „zu erwartende bedeutende therapeutische Fortschritte“ wird durch den weiteren Begriff „bedeutende medizinische Fortschritte“ (also künftig auch Diagnostik und Prävention) ersetzt.
    • Alternative Forschungen sind zu begünstigen.

 

  • Neurowissenschaften und Bildwiedergabe des Gehirns
    • Sie ist strikt auf medizinische oder wissenschaftliche Zwecke begrenzt.

 

  • Leihmutterschaft
    • Das Verbot einer Leihmutterschaft bleibt bestehen.

 

  • Anwendung und Evaluierung des Bioethikgesetzes
    • Das Gesetz in der in erster Lesung von der Nationalversammlung angenommenen Fassung sieht abweichend von dem Bioethikgesetz 2004 eine periodische Überprüfung nach Ablauf von 5 Jahren nicht mehr vor.
    • Es bleibt dem Parlament überlassen, in den Punkten, in denen es Regelungsbedarf sieht, in Form einer Gesetzesvorlage initiativ zu werden.
    • Das Gesetz sieht weiter vor, dass Reformen betreffend ethische und gesellschaftliche Fragen, die sich infolge von Erkenntnisfortschritten in den Bereichen der Biologie, der Medizin und der Gesundheit stellen, eine öffentliche Diskussion in der Form von „Generalständen“ vorangehen kann. Diese werden auf Initiative des Nationalen Ethikkomitees nach Konsultation der zuständigen Parlamentsausschüsse und des OPECST organisiert.
    • Nach Durchführung einer öffentlichen Diskussion erstellt das Nationale Ethikkomitee einen Bericht, der anschließend dem OPECST zur Evaluierung zugeleitet wird.
    • Unabhängig hiervon legt das Nationale Ethikkomitee alle 2 Jahre einen Bericht zu den ethischen Problemen vor, die sich im Zuständigkeitsbereich der Agentur für Biomedizin im Bereich der Neurowissenschaften stellen. Dieser Bericht wird dem Staatspräsidenten und dem Parlament zugeleitet, das seinerseits das OPECST damit beauftragt.
    • Wieder unabhängig von dem vorstehend Gesagten legt die Agentur für Biomedizin jährlich einen Tätigkeitsbericht vor, der veröffentlicht und dem Parlament zugeleitet wird; dieses befasst damit das OPECST und das Nationale Ethikkomitee.
    • Das Gesetz macht für den jährlichen Tätigkeitsbericht der Agentur für Biomedizin 5 Vorgaben, die unter wissenschaftspolitischen Gesichtspunkten Aufmerksamkeit verdienen.

 

  • Bestimmungen betreffend die überseeischen Gebiete

 

  • Übergangsbestimmungen und Verschiedenes

 

 

Quelle:

Pressemitteilung von Kooperation international – 24.02.2011

Redakteur:

Dr. Hermann Schmitz-Wenzel, DFGWT, hermann.schmitz-wenzel@t-online.de