Der Computer ermöglicht genauere Kenntnisse der Musik

Der 1952 in Tulle (Corrèze) geborene Informatiker und Professor für Musik an der Universität San Diego (Kalifornien), Philippe Manoury, wurde bei den „Victoires de la musique classique 2012“ für seine mit der Antescofo-Software komponierte Oper „La nuit de Gutenberg“ als bester Komponist ausgezeichnet. Diese neue Software wurde von Forschern des INRIA (französisches Forschungsinstitut für Informatik und Automatik) entwickelt.

Nachstehend ein Interview mit dem Komponisten über die Verbindung zwischen Musik und Innovationen in der Informatik:

 

Sehen Sie sich selbst als Pionier, der neue Wege im musikalischen Universum beschreitet?

Alle Komponisten waren Pioniere: Bach, Wagner, Debussy und all die anderen waren auf ihre Weise innovativ. Sie wollten nicht das Gleiche machen, was es bereits gab.

 

Warum haben Sie sich für die Arbeit mit Computern entschieden?

 

Das geht zurück auf die Anfänge der Informatik,  zu Beginn der 70er Jahre. Ich habe zunächst beim INRIA mit Lochkarten gearbeitet. Ich beschäftigte mich zu dieser Zeit mit dem mathematischen Formalismus, wie der Wahrscheinlichkeitsrechnung, den Markov-Ketten, etc. Was mich neben dem mathematischen Formalismus noch interessierte, war die Entwicklung neuer Systeme zur Soundsynthese, d. h. die Erzeugung von Tönen, die herkömmliche Instrumente nicht hervorbringen können. Wir beschränken uns oft auf die gleichen Instrumente, und ich finde, dass uns neue Systeme der Klangsynthese vor einer Standardisierung bei den klassischen Instrumenten bewahren können.

 

Welche Möglichkeiten kann der Computer der musikalischen Kreativität bieten?

 

Vor der Computermusik gab es schon lange experimentelle elektronische Musik, die von Komponisten wie Karlheinz Stockhausen (1953) entwickelt wurde. Zu der Zeit wurde viel erfunden. Der Computer kam erst später und ermöglichte das Niederschreiben von Musik.

 

Welche Rolle spielt der Computer für das musikalische Schaffen?

 

Früher gab es Kompositionen in der elektronischen Musik einerseits und in der instrumentalen Musik andererseits. Die Computertechnologie ermöglicht heute eine größere Koexistenz zwischen beiden. Mit ihr können instrumentale Töne genauer analysiert und anschließend mit Hochleistungstechniken transformiert werden.

 

Ihrer Meinung nach hat die Schrift Harmonie und Polyphonie in die Musik gebracht. Wie könnten dann die digitalen Technologien die Musik bereichern?

 

Durch ein besseres Tonverständnis. Durch den Computer konnten wir feststellen, dass die Tonwelt viel komplexer ist als wir früher dachten. Dadurch lassen sich neue Formen des Komponierens entwickeln, so wie es damals die Harmonielehre ermöglichte. Die erste Abhandlung über die Harmonie (traité de l’harmonie) wurde im Jahre 1722 von Jean-Philippe Rameau geschrieben, der die Obertonreihe als wesentliches Merkmal der tonalen Harmonik und somit als natürliche Grundlage der Musik erachtete. Heute könnten neue Theorien aufgestellt werden, die auf unserem gegenwärtigen Kenntnisstand in der Musikinformatik basieren.

Die Oper „La nuit de Gutenberg“ zeichnet die Entwicklung der Schrift von ihrer Entstehung bis zum Internet nach. Konnten Sie durch die INRIA-Software Antescofo, die Sie zum komponieren dieser Oper genutzt haben, genau die technologischen Entwicklungen nachvollziehen, die durch die Schrift erst möglich wurden?
Natürlich. Antescofo zählt für mich zu den schönsten Erfindungen, die die Musikinformatik in den letzten zehn Jahren hervorgebracht hat. Nie zuvor gelang mit einem Programm eine solche Polyphonie sowie eine Überlagerung heterogener Taktzeiten. Sie ermöglicht Kompositionen, die denen der  traditionellen Schrift sehr nahe kommen. In der Musik ist der Begriff der Zeit relativ. Im Gegensatz zu anderen Computer-Programmen lässt sich durch Antescofo diese relative Natur der musikalischen heterogenen Taktzeiten ausdrücken.

 

Antescofo: Für weitere Informationen und eine Demonstration der Software Antescofo können Sie die Fachmesse für Kultur und mathematische Spiele vom 31. Mai bis 3. Juni 2012 in der Université Pierre et Marie Curie, 4 place Jussieu 75005 Paris, besuchen.

 

 

Quelle:

Pressemitteilung des INRIA – 27.04.2012 – http://www.inria.fr/centre/paris-rocquencourt/actualites/rencontre-avec-philippe-manoury

Redakteur:

Charles Collet, charles.collet@diplomatie.gouv.fr