An der Grenze zwischen Meeren und Flüssen sprudelt die blaue Energie

Die blaue Energie, die aus dem Salzgehaltunterschied zwischen dem Süßwasser ist ein Weg, der für den Energiewandel erforscht werden muss. Die bestehenden Technologien sind jedoch noch nicht effizient genug, um diese Energie im industriellen Maßstab zu gewinnen. Die Grundlagenforschung an Nanomaterialien, die in den Physiklaboren des CNRS durchgeführt wird, bietet heute die Möglichkeit, die technischen Grenzen zu überwinden und diese Lösung eines Tages in großem Maßstab anwendbar zu machen.

In Flussmündungen, wo Flüsse und Meere zusammenfließen, trifft Wasser mit unterschiedlichem Salzgehalt aufeinander. Durch einen Stoffaustausch wird die Salzkonzentration ausgeglichen. Dieses Phänomen, die Osmose, tritt in vielen Situationen in verschiedenen Größenordnungen auf und kann selbst durch semipermeable Membranen, die zwei Behälter mit unterschiedlichem Salzgehalt voneinander trennen, stattfinden. Osmose erzeugt osmotische Energie, auch blaue Energie genannt, die in mechanischer oder elektrischer Form zurückgewonnen werden kann.

Zwar sind wir technisch noch nicht in der Lage, diese 50 Jahre alte Idee effektiv zu nutzen, doch die Menge der weltweiten Wasserströme bietet ein großes Reservoir an blauer Energie. Die Deltas der großen Flüsse können theoretisch bis zu 17.000 TWh pro Jahr liefern, was in etwa der Leistung von 2.000 Atomreaktoren entspricht. Osmoseenergie ist erneuerbar, aber im Gegensatz zu Wind- und Solarenergie basiert sie auf einem konstanten Fluss, was es ihr ermöglicht, kontinuierlich produziert zu werden und sich an den Bedarf des Stromnetzes anzupassen. Sie verfügt daher über die notwendigen Vorteile, um einen wichtigen Platz in einem künftigen kohlenstofffreien Energiemix einzunehmen.

Zur Gewinnung der blauen Energie gibt es bereits zwei Technologien. Sie basieren auf einer Membran, die zwischen zwei Behältern mit unterschiedlichem Salzgehalt platziert wird. Bei der ersten Methode, der druckverzögerten Osmose (PRO), wird das Süßwasser aus dem einen Behälter durch die semipermeable Membran, die es vom Salzwasser des anderen Behälters trennt, geleitet, um die Salzkonzentration im anderen Behälter zu senken. Durch die Erhöhung des Drucks in dem Salzwasserbehälter wird über eine Turbine mechanische Energie erzeugt. Die zweite Methode, die umgekehrte Elektrodialyse (RED), arbeitet mit Membranen, die zu einem ‚Stack‘ gestapelt sind und die positiven (Na+) von den negativen Salzionen (Cl-) trennen. Unter dem Einfluss der Osmose durchdringen erstere kationenselektive Membranen, während letztere anionenselektive Membranen durchdringen. Durch die Trennung von positiven und negativen Ladungen entsteht ein Ionenstrom, der anschließend in elektrischen Strom umgewandelt wird. Diese Technologie erzeugt also direkt elektrische Energie.

Das 2015 gegründete Start-up-Unternehmen Sweetch Energy stützt seine Arbeit auf einen technologischen Durchbruch, der aus diesen Studien hervorgegangen ist. Da es das Potenzial der vorgeschlagenen Innovation erkannte, wandte es diese auf die Entwicklung einer neuen Art von nanoporösen Membranen an: die INOD®-Membranen (Ionic Nano Osmotic Diffusion), und schaffte so den Sprung vom Labor zur Einführung einer industriellen Lösung. Diese Anwendung der Grundlagenforschung führte zur Einrichtung einer ersten Pilotanlage zur Erzeugung osmotischer Energie im Rhône-Delta. Diese soll 2023 in Zusammenarbeit mit der Compagnie Nationale du Rhône errichtet werden. Das Ziel von Sweetch Energy ist es, eine Art der erneuerbaren Stromerzeugung zu erreichen, die wirtschaftlich tragfähig, schnell zu installieren und überall dort einsetzbar ist, wo Wasser mit unterschiedlichem Salzgehalt aufeinandertrifft.

Der Forscher Cyril Picard ist sich der technischen Grenzen von Membranen bewusst und erforscht mit seinem Team am Interdisziplinären Physiklabor2 im Rahmen des Projekts osmolith eine andere Möglichkeit, osmotische Energie über den PRO-Weg zu nutzen. Er orientiert sich dabei an der sogenannten „Pressure Swing Adsorption“-Technik, die zum Beispiel bei der Herstellung von medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern eingesetzt wird. Dazu verwendet er ein hydrophobes nanoporöses Pulver, das unter Druck abwechselnd in reines Wasser und Salzwasser getaucht wird. So füllen sich die Poren an der Oberfläche des Pulvers allmählich mit reinem Wasser und es entsteht ein Salzgehaltsunterschied zwischen dem Inneren und dem Äußeren dieser Öffnungen. Aufgrund des Osmosephänomens gilt zudem: Je salziger die Flüssigkeit, in die das Pulver eingetaucht wird, desto höher ist der Druck, der aufgebracht werden muss, um die Poren zu füllen. Osmotische Energie kann somit in Form von mechanischer Energie gewonnen werden, indem ein Kolben in Zyklen bewegt wird, in denen er abwechselnd in wenig salzhaltigem Wasser komprimiert und in stark salzhaltigem Wasser entspannt wird.

Diese Technologie hat im Vergleich zum Membranansatz mehrere wichtige potenzielle Vorteile. Der erste ist der zyklische Betrieb, der die Konzentrationspolarisierung begrenzt. Die Verwendung eines Pulvers ermöglicht auch eine hohe mechanische Festigkeit, so dass eine hohe Leistungsdichte erreicht werden kann, wenn unter hohem Druck gearbeitet wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass das für die Herstellung des Geräts erforderliche mechanische Material standardisiert ist. Was das nanoporöse Pulver betrifft, so gibt es bereits einen kommerziell erhältlichen Typ, der zunächst für den Konzeptnachweis dieser Technologie verwendet werden soll. Schließlich benötigt diese Methode zur Gewinnung osmotischer Energie keinen Süßwasserfluss, um zu funktionieren, und kann daher als Ergänzung zu Flusskraftwerken installiert werden. So kann beispielsweise Wasser aus Salzgärten oder bestimmte Industrieabwässer mit geringem Salzgehalt wie Meerwasser verwendet werden.

Derzeit befindet sich diese Methode zur Gewinnung osmotischer Energie noch in einem explorativen Stadium. Um sie zur Energiegewinnung anwenden zu können, muss die Forschung an dem verwendeten mechanischen System und den nanoporösen Pulvern noch weiter voranschreiten. Insbesondere wird man sich mit der Skalierung des gesamten Systems befassen müssen. Dieser Pulveransatz ist nicht der einzige, den die Forscherinnen und Forscher des LIPhy für die membranlose Nutzung der osmotischen Energie in Betracht ziehen. Das Projekt nanosmotic, das in Zusammenarbeit mit dem CEA LETI unter der Leitung von Elisabeth Charlaix durchgeführt wird, stützt sich auf Techniken, die in der Mikroelektronik, einem industriellen Aushängeschild des Grenobler Beckens, verwendet werden. Diese Methode scheint vielversprechend zu sein, um bemerkenswerte Leistungen zu erzielen.

Die Grundlagenforschung im Bereich der Nanomaterialien und der Nanofluidik eröffnet neue, realistische Wege für die Energiewende. Indem sie auf diese noch wenig erforschten Felder setzten, konnten die Forscher bestehende technologische Probleme lösen. Sei es durch die Entwicklung neuer Membranen oder die Erforschung innovativer Wege. Die blaue Energie wird so zu einer immer konkreteren Möglichkeit. Sie kann somit Teil der industriellen Lösungen werden, die die Dekarbonisierung der Energie überall dort, wo Flüsse und Ozeane aufeinandertreffen, ermöglichen werden.

 

Quelle: CNRS

Abbildung: INOD-Minizelle von Sweetch Energy im Labor (Copyright: Sweetch Energy)