Bilanz – Digitale Gesundheit – die Medizin der Zukunft? 9th Berlin Conference – Digital Health Solutions

 Wie digitale Technologien für Pharma und Biotech sinnvoll eingesetzt werden können, darüber haben mehr als 100 Experten in Berlin diskutiert. Fazit: Viele setzen auf Kooperationen, weil noch unklar ist, wohin die Reise wirklich geht.

Wem digitale Medizin wie nützt

 

 

Thilo Kaltenbachs Analyse ist eindeutig: „Die großen Pharmafirmen fahren ihr Aktivitäten rund um medizinische Tools und Geräte wieder hoch.“ Der Unternehmensberater von Roland Berger war einer der zahlreichen Experten, die auf der Berlin Conference „Digital Health Solutions“ Mitte Februar beleuchteten, welche Faktoren bei E-Health-Anwendungen eine wichtige Rolle spielen. Derzeit setzen Pharma- und Biotech-Unternehmen unter dem Motto „Service beyond the pill“ vor allem auf neue Vertriebs- und Vermarktungsszenarien anhand von Apps und Applikationsgeräten. Doch aus Sicht von Kaltenbach sind das nur Nebenschauplätze: „Keiner weiß, welche Ideen sich am Ende in der Breite etablieren werden. Deswegen exponiert sich auch kaum ein großes Unternehmen. Es wird viel kooperiert und experimentiert.“

 

Mit Sanofi wurde auf der jährlich zu wechselnden Themen stattfindenden BIOCOM-Veranstaltung auch die Big Pharma-Perspektive eingebracht. Francois Nicolas, als Vizepräsident mitverantworlich für das Diabetesmanagement, betonte auf der Konferenz in der französischen Botschaft in Berlin-Mitte die Vielfalt der Akteure im Markt und warum Pharma auf Kooperationen mit IT-Größen wie IBM, Qualcomm, Apple oder Alphabet setzt. „Wir treten derzeit in eine neue Ära des Gesundheitsmanagements ein“, so Nicolas. „Wir müssen den Patienten den Umgang mit der Krankheit im Alltag vereinfachen, damit die Therapien überhaupt effektiv genutzt werden.“ Digitale Lösungen sind derzeit deswegen vor allem bei Volkskrankheiten wie Diabetes im Trend. Als eine Schlüsselherausforderung für das Gelingen der digitalen Transformation im Bereich Pharma sieht Sanofi-Manager Nicolas die sich verändernde Art und Weise der Kommunikation mit dem Patienten. „An die Stelle einer kontrollierten Einbahnstraßenansprache tritt ein dynamischer, auf fortwährend erhobenen Daten basierender Dialog.“ Hier setzt auch Thomas Olesen von Qualcomm Life an: „Wir haben keine Fachexpertise in Pharma, aber wir können mit unserer Plattform Verbindungen zwischen den Akteuren schaffen.“ Rund 500 Partner aus der Gesundheitsbranche würden Qualcomm bereits nutzen, so Olesen.

 

Amira Thorn und Samantha Winder von Northwest E-Health wiederum zeigten das Potential von digitalen Tools für klinische Studien auf. Die beiden Managerinnen betreuen das Greater Manchester Model für klinische Studien. In der Region wurde eine starke Online-Vernetzung von Kliniken, Hausärzten, Apotheken, Behörden und Patienten aufgebaut. „Wir haben zum ersten Mal eine klinische Studie mit Lungenpatienten in den Alltag der Probanden integriert und gezeigt, dass der bisher übliche Gang zum Studienzentrum überflüssig ist“, so Thorn. Bislang ist GSK als Pilotpartner dabei, künftig können sich die Briten ihr Modell auch für andere Firmen vorstellen. Die so gewonnenen Daten sind aus ihrer Sicht extrem wertvoll: Pharma könnte nicht nur bis zu zwei Jahre Zeit einsparen, sondern künftig auch besser verstehen, wie der Medikamentationsplan funktioniert, wenn die Patienten die Therapien im heimischen Umfeld und unter Realbedingungen einnehmen. Auch Nebenwirkungen könnten in Echt-Zeit beobachtet werden. „Die erste Studie wurde gerade beendet und die Daten werden im April veröffentlicht“, so Winder.

 

Weitere Sessions auf der Konferenz betonten die Bedeutung von digitalen Lösungen für die Forschungs- und Entwicklungsarbeit. Auf die Unzuverlässigkeit publizierter Daten und der Notwendigkeit von Smart Data anstatt von Big Data wies unter anderem Manuel Gea von Bio-Modeling Systems aus Paris hin. Die unzureichende Weiterentwicklung neuer Wirkstoffe im Rahmen von jahrelangen klinischen Studien und die sich wandelnde Fachkompetenz von Patienten stand wiederum im Fokus von Roland Brus. Der Biotech-Manager hat deshalb mit Mytomorrows eine Online-Plattform ins Leben gerufen, über die Pharma- und Biotech-Firmen Compassionate Use-Programme im gesetzlich erlaubten Rahmen durchführen lassen können. „Die hier gewonnenen Daten sind für Wirkstoffentwickler extrem wertvoll“, so Brus. Warum Software unter bestimmten Bedingungen doch patientierbar ist und welche Formulierungen zu beachten sind, darüber informierten unter anderem Rechtsexperten der Kanzlei Vossius.

 

Am Ende des Tages wurde gepitcht. Sechs eingeladene Gründer aus ganz Europa stellten ihre Business-Ideen einer Investoren-Jury vor. Überzeugen konnte schließlich das im Bayer-Colaborator ansässige Berliner Start-up Viomedo. Der Online-Marktplatz will Wirkstoffentwickler und interessierte Patienten möglichst einfach und früh zusammenbringen, um klinische Studien schneller und gezielter als bisher anzuschieben. Der Jury dürfte vor allem das gut skalierbare Modell zur Monatarisierung a la Uber oder Airbnb gefallen haben: Für jeden im System angelegten, an den Studiensponsor verwiesenen und in die Studie aufgenommenen Probanden sind jeweils Gebühren fällig. Publikumsliebling war hingegen die spanische Firma Mint labs, die eine cloudbasierte Lösung für die Auswertung neurobiologischer MRI-Scans entwickelt hat.

 

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