Molekulare Autos wieder auf der Rennstrecke
Wie funktioniert das Rastertunnelmikroskop, mit dem Bilder vom Rennen aufgenommen werden und das den Treibstoff für die Molekül-Autos liefert?
C. J. Wir verwenden in erster Linie die Bildgebungsfunktion des Rastertunnelmikroskops bzw. STM für Scanning Tunneling Microscope. Die extrem dünne Spitze dieses Instruments, die in einem einzigen Atom ausläuft, ermöglicht es, die Oberfläche eines Materials abzutasten, wobei dieses Atom weniger als einen Nanometer von der Oberfläche entfernt bleibt. Bei diesem geringen Abstand entsteht ein sogenannter Tunnelstrom in der Größenordnung von 1 Nanoampere pro 1 Volt angelegter Spannung. Dieser geringe Strom, der in eine verstärkte Spannung umgewandelt wird, ermöglicht es, den Abstand zwischen Spitze und Oberfläche zu stabilisieren, ohne die Oberfläche zu berühren. Dadurch wird es möglich, Zeile für Zeile ein Bild der beobachteten Oberfläche zu erstellen.
Um die Genauigkeit zu erhöhen, müssen diese Scans bei einer Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt – um -270 °C – durchgeführt werden. Dadurch wird verhindert, dass die Atome, aus denen die Oberfläche der Spur besteht, durch die thermische Unruhe durcheinandergewirbelt werden. Nachdem der Fahrer sein Molekül-Auto auf die Bahn gesetzt hat, nutzt er die Spitze des STM, um ihm die Energie zuzuführen, die es antreibt. Dazu kann der Fahrer die Spannung zwischen der Spitze und der Oberfläche erhöhen oder die Spitze für eine bestimmte Zeit – zwischen 100 Millisekunden und einigen Sekunden – an derselben Stelle auf dem Molekül-Auto belassen. Im letzteren Fall sorgt der kleine inelastische Effekt des Tunnelstroms durch das Molekül-Auto dafür, dass die Schwingungsenergie einiger seiner mechanischen Freiheitsgrade erhöht wird, wodurch es sich Schritt für Schritt vorwärtsbewegt, in der Regel um einige hundert Pikometer pro Zug (1 pm = 10-12 m, Anm. d. Red.).
Können Sie die Struktur des Schaltkreises beschreiben, auf dem sich die Nanocars bewegen werden?
C. J. Der Schaltkreis wird auf die Oberfläche eines reinen Goldkristalls – hier ein Wafer mit einem Durchmesser von 8 mm – aufgebracht, der auf natürliche Weise von kleinen Rillen durchzogen ist. Diese Rillen, die durch die Minimierung der Oberflächenenergie des Goldkristalls entstehen, beschreiben gerade Linien von 100 bis 200 nm und bilden regelrechte Rutschbahnen für die Molekülautos. Die Länge der Rillen kann von Goldwafer zu Goldwafer variieren, ebenso wie die Art und Weise, wie die schmalen und breiten Rillen verteilt sind, wobei die Breite in der Regel zwischen 4 und 10 nm liegt.
Diese Anordnung hängt von den Vorbereitungsmethoden jedes Teilnehmers ab. Am Ende jeder geraden Linie einer bestimmten Rille verschieben sich Atomgruppen auf der Oberfläche leicht, wodurch eine kleine Kurve mit einer Krümmung von 20-30° entsteht, die zur nächsten geraden Linie führt. Die Krümmung, die den Übergang von einer geraden Linie zur nächsten ermöglicht, beträgt zwischen 4 und 5 nm. Hier liegt die Hauptschwierigkeit des Rennens, da ein Molekül-Auto leicht in einer Kurve stecken bleiben kann. Beim ersten NanoCar Race stellten die Fahrer fest, dass die effizienteste Art, eine Kurve zu durchfahren, darin bestand, sie rechts oder links zu umfahren, indem sie die nächste Rille nahmen.
Wie schon 2017 wird der Wettbewerb live im Internet übertragen. Stehen in diesem Bereich Neuerungen auf dem Programm?
C. J. Die experimentellen Bilder, die sich aus der “Bild-für-Bild”-Regel ergeben, ermöglichen es jedem Team, einen kleinen Animationsfilm zu drehen, um stündlich die bis auf wenige Pikometer genaue Route jedes Molekül-Autos nachzuvollziehen. Diese Videosequenzen werden auf dem YouTube-Kanal NanoCar Race der Veranstaltung gezeigt, so dass die Zuschauer die zurückgelegte Strecke jedes Autos verfolgen können. Am Ende des 24-stündigen Rennens wird das Team zum Sieger gekürt, das mit demselben Molekül-Auto die längste Strecke entlang einer Furche und ihrer Kurven zurückgelegt hat. Da die Physiognomie der Goldpiste von Teilnehmer zu Teilnehmer stark variieren dürfte, wird den Teams, deren Strecke die meisten Kurven aufweist, ein Bonus gewährt.
Über den Wettkampf hinaus bietet das NanoCar Race die Möglichkeit, die Forschung an molekularen Maschinen voranzutreiben.
C. J. Dieses Rennen zielt in der Tat darauf ab, die physikalisch-chemischen Phänomene zu entschlüsseln, die ein Molekül-Auto dazu bringen, sich kontrolliert auf einer Oberfläche fortzubewegen. Während der Trainingseinheiten für das erste NanoCar Race 2017 gelang es dem japanischen und dem deutschen Team, ihr Auto durch den inelastischen Tunneleffekt ohne Schwierigkeiten vorwärts zu bewegen. Am Tag des Rennens blieb ihr Fahrzeug jedoch dauerhaft stehen, ohne dass es bislang eine Erklärung dafür gab.
Was sind die wissenschaftlichen Ziele dieser neuen Ausgabe?
C. J. Sie könnte das Gedankenexperiment des “maxwellschen Dämons” aus einer neuen Perspektive beleuchten. Dabei handelt es sich um eine 1870 von dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell aufgestellte Hypothese, der zufolge es möglich sei, dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik zu widersprechen. Um dieses Kunststück zu vollbringen, ließ Maxwell ein imaginäres kleines Wesen auftreten, dessen Größe kleiner sein musste als die räumliche Ausdehnung der thermischen Fluktuationen auf der Oberfläche, die es aufnehmen sollte. Heutzutage könnte dieses winzige Wesen die chemische Struktur eines Molekül-Motors haben, der ausschließlich Energie von der Oberfläche aufnimmt, auf der er sich befindet. Bei einer Translationsbewegung würde es sich eher um ein Molekül-Auto handeln, das ausschließlich Energie von der Oberfläche aufnimmt, um sich immer in die gleiche Richtung zu bewegen. Auf jeden Fall könnte dieses neue NanoCar-Rennen dazu beitragen, von der Hypothese des Dämons zu den eigentlichen Experimenten überzugehen, indem es den Weg für die Entwicklung zukünftiger Molekül-Maschinen ebnet.
Außerdem werden bei diesem Rennen zum ersten Mal zwei Arten von Molekül-Autos gegeneinander antreten: solche mit einem Dipolmoment, das auf einem klassischen Antrieb beruht, und solche mit inelastischen Tunnelmotoren, die auf der Quantenphysik beruhen. Durch eine detaillierte Analyse der Routen dieser beiden Kategorien von Nanoautos sollten wir überprüfen können, ob ein intrinsischer Quanteneffekt wie der inelastische Tunneleffekt eine bessere Manövrierfähigkeit ermöglicht, ohne zu viel Energie zu verbrauchen.
Quelle: https://lejournal.cnrs.fr/articles/les-voitures-moleculaires-de-retour-sur-la-piste
NanoCar Race II am 24. und 25. März 2022 im Cemes (La Boule) in Toulouse. Übertragung auf dem YouTube-Kanal der Veranstaltung.
Ein Team des Lehrstuhls für Materialwissenschaften und Nanotechnologie der TU Dresden hat 2017 am Nanocar Race teilgenommen.